Sonntag, 27. September 2015

Im Kerker von Agonie und Angst

Schockschwerenot. Wenn Landtagswahlergebnisse sich an aktuellen NRW-Umfragen orientieren, dann lodern die Flammen im Dachstuhl österreichischer Innenpolitik. Doch sind die 30% der FPÖ in Oberösterreich tatsächlich problematisch? Ja. Denn die Erfolge werden für die Blauen selbst zum Problem. Und damit auch für uns.


Dankbarkeit. Ehrlichkeit. Liebe. Starke Emotionen, ohne Zweifel. In politischen Auseinandersetzungen sind sie zum Vergessen und nicht zu gebrauchen. Sie werden vom urtümlichsten aller Gefühle dominiert: Angst.

Angst tritt in vielen Schattierungen auf und bildet das Fundament für alle Wahlentscheidungen. Plakatierte „Wirtschaftskompetenz“ appelliert an die Urangst der Arbeitslosigkeit. „Investitionen in Bildung und Forschung“ implizieren die Angst, unsere Kinder könnten im globalen Wettbewerb nicht mithalten und werden – wie in dieser Epoche Asien und Afrika – zum Wohlstandslieferanten anderer Länder degradiert.

Man suggeriert uns, unter der Klassifizierung „Asyl“ die entscheidenden Wahlmotive für die oberösterreichischen Landtagswahl gefunden zu haben. Selbiges gilt für die Wien-Wahl in zwei Wochen. Dies greift zu kurz.

Es ist eine Hysterie, die weite Teile der österreichischen Bevölkerung erfasst hat. Die Mehrheit kann sie noch unter Kontrolle halten und einigermaßen klare Gedanken fassen. Einige haben sich bereits vollständig dem Wahnsinn hingegeben. Die Angst vor hunderttausenden, unbewaffneten Flüchtlingen, die unkontrolliert und unbehelligt europäische Grenzen durchschreiten, ergreift von jenen Besitz, die nicht auf der Flucht vor Krieg und Elend sind. Eine krude Mischung aus Wohlstandsangst und unbegründeter Furcht um Leib und Leben kerkert eine wachsende Minderheit. Eine Minderheit, die wie ein reißender Fluss die moralischen Fundamente anderer mitzureißen droht und zunehmend zur gesellschaftlichen Gefahr heranwächst.

Nun sind diese Sorgen keine Themen, die in den Landtagen Oberösterreich und Wien real entschieden werden. Doch welche Möglichkeiten der gesellschaftspolitischen Artikulation bleiben den Hysterischen? Die Bundespräsidentenwahl 2016, zwischen Pröll, Hundstorfer und van der Bellen? Wohl kaum. Drei Jahre geduldige Wartezeit bis hin zu den österreichischen Nationalratswahlen und Wahlen zum EU-Parlament scheinen angesichts der Brisanz keine Alternative. Jede Möglichkeit wird für den Hilfeschrei genutzt: „Verdammt nochmal, ich habe Angst! Helft mir doch endlich! Egal wer!“

Dass die blaue Funktionärsriege auf der Tastatur der Parolen vermeintlich Ausrufezeichen suggeriert, aber eigentlich Fragezeichen liefert, ist in diesem Zusammenhang minder überraschend. FPÖ-Funktionäre, die nicht in einer 24/7-NLP-Karrikatur gefangen sind sondern einen Hauch Selbstreflexion zulassen, bekunden im persönlichen Gespräch ganz ehrlich: „Natürlich haben wir auch keine funktionierende Lösung. Was will man denn machen?“.
Ironischerweise darf diese Nicht-Lösung der blaue, burgenländische FPÖ-Sicherheitslandesrat am Hotspot in Nickelsdorf selbst vorexerzieren. Aber was dann? Was, wenn die Hysterie weiterhin lodert aber sich bei den Verängstigten und Frustrierten ein Gedanke festsetzt: „Die Blauen lösen das ja auch nicht!“

Wenn sich Bürgerinnen und Bürger für eine gute, meist gesellschaftspolitische Sache abseits der politischen, staatlichen Strukturen zusammenschließen, wird dies oft als „aktive Zivilgesellschaft“ gepriesen. Was, wenn dieses Recht „aktiver Zivilgesellschaft“ nicht nur jene #TrainOfHope-Aktivisten ergreifen, die Österreich – abseits staatlicher, formaler Strukturen – durch ihre große Betreuungsleistung ein freundliches Gesicht geben? Eine außerparlamentarische Opposition von Hysterikern, die sich in ihren Sorgen alleine gelassen fühlt und nicht einmal die extremen, demokratisch legitimierten Flügel der FPÖ als Repräsentanten akzeptiert? Je länger die Strache-Parolen skandieren, je länger die Kickl-Reime schallen, umso höher die Zugewinne der Blauen sein werden: Desto größer wird die Gefahr. Eine Gefahr, in der Menschenmassen, deren Köpfe bis auf die Knochen voller Angst zerfressen sind, sich von der Demokratie abwenden und „die Dinge selbst in die Hand nehmen wollen“. Weil sie sich voller Angst nach einer Lösung sehnen, die ihnen die blaue Propaganda als Fata Morgana vorgegaukelt hat.


Dem sollte unsere Angst gelten.

2 Kommentare:

  1. Lieber Christopher,
    gut zusammengefasst. Einzig auf die ursächliche Schuld, dass unsere regierenden Parteien in der Bundesregierung seit dem EU Beitritt keinerlei Visionen für Österreich haben und daher den Boden für die Angstpolitik bereitet haben möchte ich ergänzen.

    Es gibt niemanden, der den Menschen ein Ziel gibt und damit Hoffnung, dass sich etwas an ihrer Existenzangst ändert. Auch ich lebe längst in der Angst, dass ein Mob genau das macht, was zu befürchten ist und "die Sache selbst in die Hand nimmt".

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    1. Danke für das freundliche Feedback!

      Der Einwand ist leider berechtigt. Eine Andeutung, wie Leadership aussehen und auf welcher Ebene ein Diskurs geführt werden könnte, gab es in einer der letzten "Im Zentrum"-Debatten: Bosbach (deutscher Bundestagsabgeordneter) vs. Vilimsky.

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