Man hat argumentativ, aber auch moralisch, einen schweren Stand wenn man
ehrliche Wohltätigkeit kritisiert. Selbst dann, wenn sich im Windschatten
dieser Wohltätigkeit ein Rattenschwanz an problematischen Ideologiefetzen
eingerichtet hat. Die Kommunistische Partei (KPÖ) in Graz dient als gutes
Beispiel, warum notwendige Kritik nicht immer angenehm ist.
Darf man Elke Kahr als bekennende Marxistin für die Morde und Brutalitäten
aller kommunistischen Regime verantwortlich machen? Nein, selbstverständlich
nicht. Michel Reimon liegt
natürlich richtig, wenn er Christian Ortner entschieden entgegen tritt. Aber Reimon
irrt, wenn er damit die Pflöcke im Weideland der paradiesischen
Gutmenschlichkeit allgemeingültig eingeschlagen sieht. Nur, weil man keinen
kausalen Zusammenhang zwischen stalinistischen Massenmorden und den
"Engeln der Armen", wie Vertreter der KPÖ Graz gerne genannt werden,
herstellen kann, reicht das nicht für eine Absolution.
Wenn Reimon argumentiert, in den Werken von Marx und seiner Vorgänger finde
sich nicht der Wunsch nach der Vernichtung von Menschen, sondern das Ziel ihrer
Befreiung, ist dies beachtlich verklärend. Romantisierend verklärend. Gab es in
der Geschichte denn keinen Schießbefehl inklusive dazugehöriger Mauer? Gab es
keine niedergeknüppelten und panzergeschwängerten Proteste an
unterschiedlichsten Plätzen? Gibt es keine „Bitten zum Tee“, keine allwissend,
gottgleichen „primus inter pares“, flankiert von elitären Komitees? Zu
behaupten, die Idee des Kommunismus sei eine andere als jene, die in
Geschichte und Gegenwart eben verwirklicht wurde, ist kein Zeichen kritischer
Distanz. Es ist ein weiterer Beleg romantischer Verklärung. Ja, es gibt
Unterschiede zwischen einem real existentem Sozialismus unterschiedlichster
Prägung und Schattierung, einem klassischen Kommunismus, einem Stalinismus,
einem Marxismus, einem Maoismus und wie sich die Richtungen alle nennen. Wer behauptet, alles das den Sprung der Realisierung geschafft hat sei eine
Fehlinterpretation des Ideals und daher zum Scheitern verurteilt, irrt
gewaltig. Damit macht man es sich zu einfach.
Es hat seinen Grund, warum Elke Kahr und ihre Gefolgschaft als „Kommunistische
Partei“ in Graz antreten und sie sich als überzeugte Marxistin bezeichnet. Es
hat seinen Grund, warum die „Kommunistische Partei“ im Programm zur
Landtagswahl „für den Abbau des Alten und
dem Aufbauen des Neuen“ anmarschiert. „Bis
zum definitiven Sieg der kommunistischen Gesellschaft, bis zum Verschwinden der
Klassen und damit auch des Staates, der Parteien und der übrigen
Klasseninstitutionen, die ihre historische Rolle zu Ende gespielt haben“.
Mir wäre keine weitere Partei bekannt, die in ihrem Wahlprogramm derart
offensiv für die Abschaffung der Demokratie wirbt.
Nein, die demokratisch zustande gekommenen 20 % für die KPÖ Graz sind nicht
problematisch. Wirklich problematisch ist, dass existenzielle Fragen – wie die
einer angemessenen Wohnungssituation – im demokratischen Alltag von den übrigen
Parteien im aktuellen Wirtschaftssystem nicht mehr für alle zufriedenstellend
gelöst werden können. Das lässt die „Systemfrage“, die vor 22 Jahren
als entschieden galt, wieder reizvoll erscheinen. Die 20 % in Graz sind für diese
„Systemfrage“ keine Vorentscheidung. Sie sollten jedoch als Warnung dienen.
Dienstag, 4. Dezember 2012
Freitag, 14. September 2012
Kleines Glücksspiel: Gefangen in der Fata Morgana
Das Streben nach Glück gilt als Menschenrecht. Indessen man beim
traditionellen Lotto zum Glücksgriff nach den großen Wünschen des Lebens ansetzt,
wirken die Erwartungen beim „Kleinen Glücksspiel“ bodenständiger. Doch harmlos
wirkendes Automatenspiel um vermeintliche Centbeträge entpuppt sich im
Lokalaugenschein als gefährliche Fata Morgana.
„Des is es! Tam, tam, tam. Spuck
aus den Scheiß.“ Jakob springt schwungvoll aus dem anständig gepolsterten
Lederhocker und gibt dem Automaten vor ihm einen energischen Klapps auf die
rechte Flanke. Während seine Augen selig funkeln wiederholt er monoton die
leeren Worte: „Tam, tam, tam.“ Die Situation wird von malerischer Märchenmusik
begleitet, am Bildschirm vor ihm tanzen vier virtuelle, blonde Frauen mit
spitzen Ohren, die dem Feenparadies eines japanischen Animes entsprungen
scheinen. Abrupt wird die Melodie unterbrochen und Schüsse, die an ein AK-47
Sturmgewehr erinnern, treten an ihre Stelle. Vereinzelte Knaller, zu Beginn
langsam, mit Abständen, die sich in einer wahren Gewehrsalve entladen und
schlussendlich in der Zahl 448 münden, die unscheinbar in blutroten Lettern am
unteren Bildschirmrand prangert. Eine Frauenstimme aus dem Automat beglückwünscht
zum Gewinn, zwanzig Euro und 448 „Actiongames“. Inzwischen haben sich zwei
weitere Spieler um Jakob versammelt, bestaunen und gratulieren. Die Frage, wie
man sich über zwanzig Euro Gewinn derart freuen könne – schließlich ist der
Automat, wie ein Blick auf die Plakette beweist, noch nach dem steirischen
Landesglücksspielgesetz bewilligt und sieht einen Höchstgewinn von zwanzig Euro
vor – quittieren die Herren mit schallendem Gelächter. „Er hat gerade
viereinhalbtausend Euro gewonnen!“
Glückliche Minuten
Jakob ist Ende Vierzig,
selbstständiger Unternehmer in der IT-Branche. Mit diesem Gewinn hat er nach
eigenen Angaben seinen bisherigen Monatsverlust wettgemacht. Die Kalender-App
seines iPhones, mit dem er hastig ein Erinnerungsfoto an diesen Gewinn
anfertigt, zeigt den 9. August. Genau genommen hat Jakob, der mit bürgerlichen
Namen anders genannt wird, keine 4.500 Euro
gewonnen. Er hat zwanzig Euro gewonnen – und 448 Mal die Chance auf zehn Euro,
die er sich jeweils in einem separaten Bonusspiel abholen kann. So genannte
„Actiongames“.
Daran, mitten in der
vermeintlichen Gewinnsträhne aufzuhören, denkt Jakob nicht. „Jetzt wo der
Automat endli‘ offen ist und was gibt kann ma doch net aufhören. Das wäre ja a
Wahnsinn“, erwartet Jakob einen Gesamtgewinn von „mindestens 10.000 Euro, wenn net
mehr“. Der Kellnerin, die ihn pflichtbewusst zum Gewinn beglückwünscht,
schmettert er eine unwirsche Bestellung entgegen: „Geh, steh‘ da net so rum und
bring‘ ma an Verlängerten.“
Glücklose Stunde
45 Minuten später. Der
Guthabenstand am Automaten hat sich auf etwas über 2.400 Euro eingependelt.
„Des musst da vorstellen, der hat jetzt nur mehr gefressen.“ Jakobs Stirn
beginnt zu glänzen, einzelne Schweißtropfen werden auf Stirn und Wangen
sichtbar, während er immer energischer auf die zur Verfügung stehenden
Automatentasten hämmert. Der Café, der es sich auf einer kleinen Abstellfläche
aus Metall neben dem Automaten bequem gemacht hat, ist unberührt und erkaltet.
Der Automat klingelt mit einem neuen Musikensemble. „Endlich. 27 Actiongames.
Da muss i jetzt aber riskieren.“ Gemeint ist damit die Chance, Gewinne in einem
separaten Kartenspiel mehrmals zu verdoppeln. Am Bildschirm wird ein verdeckter
Kartenstapel von Pokerkarten simuliert, man tippt darauf, ob die nächste Karte
schwarze oder rote Farbe trägt. Liegt man richtig, verdoppeln sich die gewonnen
„Actiongames“, bei falscher Wahl verliert man sie. Hastig, scharf an der Grenze
zu panischer Hektik, schmettert er zwei Mal auf den roten Knopf. Jakob steht –
bedingt durch Rundungsdifferenzen – bei 109 Actiongames. Er zögert und fixiert
mit starrem Blick die beiden Farbfelder am Bildschirm. Nach etwa zehn Sekunden
bewegt er seine Hand zum roten Feld, zuckt vor dem Erreichen des Bildschirms
aufgeschreckt zurück und presst seine Finger auf den schwarzen Bereich. Am
Bildschirm prangt die Karte „Herz Ass“.
Jakob verharrt einige Augenblicke
regungslos, genehmigt sich nun doch einen Schluck vom Verlängerten und startet
weitere Walzendrehungen. Nicht ohne sich lautstark zu beschweren, dass man hier
nicht einmal warmen Kaffee bekäme. Nach einer weiteren Viertelstunde hat Jakob
genug. Die erwarteten Gewinne sind ausgeblieben, er hält einen vom Automaten
ausgedruckten Bon in Höhe von über 1.700 Euro in der Hand. „I hab abschreiben
müssen, der hätt alles gefressen. Aber i riskier beim anderen da drüben auf da
Blauen.“
„Actiongames“, „Abschreiben“,
„Hochdrücken“ und „Automatenfressen“. Subkulturen und Grenzgänger pflegen eine
eigene Sprache. Eingekesselt zwischen knapp zwanzig Automaten ist Jakob
angekommen. Angekommen in einer Welt, in der 1.742,38 Euro nicht als reales
Monatseinkommen, sondern als Basis für „die blaue S“ – die Maximalstufe mit
rund zehn Euro Einsatz pro Walzendrehung – gelten.
Glücklich vernetzt
Ein weltweiter Primus unter den
Anbietern von Glückspielapparaten, die klingende Namen wie „Beetle Mania“,
„Lucky Lady’s Charm“ und „Book of Ra“ schmücken, ist die Novomatic AG. Der
ehemalige Wiener ÖVP-Obmann Johannes Hahn, derzeitiger EU-Kommissar für
Regionalpolitik in der Kommission Barroso II, werkte zwischen 1997 und 2003 als
Vorstandsmitglied der Novomatic AG und schaffte es bis zum
Vorstandsvorsitzenden. Sein SPÖ-Pendant Karl Schlögl fungierte ab 2004 bis zu
seinem überraschenden Ausscheiden 2011 als Aufsichtsrat. Just wenige Wochen nachdem
sich am Parteitag der Wiener SPÖ die Mehrheit der Delegierten für ein Verbot
des „Kleinen Glücksspiels“ ausgesprochen hat, kehrt das SPÖ-Urgestein Novomatic
den Rücken.
Glückliche Zufälle
Zufälligkeiten sind das Wesen des
Glücksspiels. Als Zufall könnte man die Geschehnisse rund um den mittlerweile
zurückgetretenen steirischen ÖVP-Landtagsabgeordneten Wolfgang Kasic
klassifizieren. Pikant: Wolfgang Kasic vertrat als Spartenobmann für Freizeit-
und Sportbetriebe die Glücksspielindustrie in der Wirtschaftskammer. Just zu jenem Zeitpunkt, in dem sich im
steirischen Landtag auf Bestreben der KPÖ und Jungen ÖVP ein Unterausschluss gegen
das „Kleine Glücksspiel“ formierte – und dessen Vorsitz er sich sicherte -
tauchten in einer von Kasic herausgegebenen Regionalzeitung Inserate der
Novomatic-Tochtergesellschaft „Admiral“ auf. Insgesamt wurde laut Kasic im
Umfang von rund 60.000 Euro inseriert. Eine Unvereinbarkeit sei für ihn nicht
ersichtlich, erst als „Kleine Zeitung“ und „Falter“ die Geschichte aufgriffen,
trat Kasic vergangenen Sommer von seinen Funktionen in Politik und
Wirtschaftskammer zurück.
Keine mediale Aufmerksamkeit
wurde bei einer ähnlichen Zufälligkeit dem steirischen SPÖ-Vorsitzenden Landeshauptmann
Franz Voves zuteil. Im März 2008, wenige Monate nachdem der Unterausschuss im
steirischen Landtag seine Arbeit aufgenommen hatte, fand sich der Samariterbund
Graz im Spendenreigen wieder. Novomatic sponserte dem SPÖ-nahen Samariterbund
Graz einen nach Wünschen umgebauten VW-Transporter im Wert von 78.000 Euro. Bei
der feierlichen Übergabe am 12. März 2008 anwesend: Landeshauptmann Voves, der
„allen Beteiligten, dem Glücksspielkonzern Novomatic und deren Tochterfirma
Admiral-Sportwetten GmbH für diese großzügige Spende“ dankt. Ein Foto
dokumentiert die feierliche Übergabe im engsten Kreis.
Ein für die Industrie glücklicher
Zufall eben, dass der Unterausschuss im steirischen Landtag im Sand verlief und
man sich einigte, lieber auf eine Vorlage des Bundes zu warten.
Glücklich geködert
Nicht an Zufälligkeiten jeglicher
Art glaubt Michael Heiling. Vielmehr habe man es beim „Kleinen Glücksspiel“ mit
einer milliardenschweren Branche, die hochprofessionell organisiert sei, zu
tun. Mit kostenlosen 50 Cent-Jetons als Zugabe zu Getränken versuche man
gezielt den Markt zu erweitern, zudem sei auffällig, dass „ganz stark mit
künstlichem Licht gearbeitet wird“. Man wisse drinnen nie, ob es draußen Tag
oder Nacht sei und wäre völlig abgeschottet. Michael Heiling ist Aktivist jener
„Sektion 8“ rund um Nikolaus Kowall, die am Wiener SPÖ-Parteitag den Antrag für
die Abschaffung des „Kleinen Glücksspiels“ durchsetzte. Die Antragsrede von
Nikolaus Kowall gehört auf Youtube zu den beliebtesten österreichischen
Politvideos.
2010 wurde das „Kleine
Glücksspiel“ in einer Gesetzesnovelle auf Bundesebene umfassenden Änderungen
unterzogen. „Das Gesetz wurde zwar verbessert, aber es ist so undurchsichtig
und kompliziert, sodass mit dieser Regelung gar nichts kontrolliert werden kann“,
ist Heiling überzeugt, nachdem er sich intensiv in die Thematik eingelesen
habe. Die auffallendste Änderung im „Kleinen Glücksspiel“ ist die Erhöhung des
Maximaleinsatzes pro Spiel von 50 Cent auf bis zu zehn Euro, der Maximalgewinn
wird von zwanzig Euro auf bis zu 10.000 Euro angepasst. Weitere Adaptierungen
wie Zugangsbeschränkungen, eine Anbindung aller Glücksspielautomaten an das
Bundesrechenzentrum oder Spielzeitbeschränkungen treten sukzessive bis 2015 in
Kraft. Bestehende Automatenbewilligungen behalten bis dahin ihre Gültigkeit,
sollen aber nicht mehr verlängert werden.
Die „Sektion 8“ strebt beim
kommenden SPÖ-Bundesparteitag ein vollständiges österreichweites Verbot für das
„Kleine Glücksspiel“ an. „Das Kleine Glücksspiel ist innerhalb der Basis ein
großes Thema“, gibt sich Heiling zuversichtlich, beim Parteitag eine Mehrheit
für das Verbot hinter sich zu versammeln. Die Glücksspielindustrie lässt sich
von den Diskussionen offensichtlich wenig beirren. Ein Gutachten, nach denen
„ein Verbot des Kleinen Glücksspiels keine Verbesserung bewirken würde“, wurde
vom Marktanalysten KREUTZER FISCHER & PARTNER lanciert. In der Zwischenzeit
werden mobile Märkte erschlossen und neue Zielgruppen angesprochen. Die
beliebten Spiele wie „Lucky Lady’s Charm“ sind bereits zum Download für iPhone
und iPad verfügbar.
Größere Stücke vom
Glück
Ein beträchtliches Stück vom
Glück scheint Johann F. Graf, dem Gründer und Mehrheitseigentümer der Novomatic
AG, zugefallen zu sein. Das US-Magazin „Forbes“, in dem alljährlich im März
eine Liste der reichsten Dollar-Milliardäre der Welt veröffentlicht wird, sieht
ihn auf Rang 193. Ex aequo mit Red-Bull-Erfinder Dietrich Mateschitz bei einem
Vermögen von jeweils etwa 4 Milliarden Euro. Überall, wo Fata Morganen auftauchen,
müssen offensichtlich auch Oasen existieren.
Novomatic tritt als
zahlungskräftiger Sponsor in Erscheinung. Unter anderem für das Filmfestival am
Wiener Rathausplatz oder für die ORF-Sendung „Dancing Stars“. (Foto: Tafeit)
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Sonntag, 19. August 2012
Fall Assange: Europas dunkle Tage
Was man auch angesichts all
dieser - teils pöbelnd geführten - aktuellen Diskussionen rund um den
Euro von der Europäischen Union und ihrer politischen Vertretung halten
mag: Die letzten Tage waren wahrlich dunkle Tage für Europa.
Wenn man - mit allen Abwegungen wie Geheimnisverrat, Vergewaltigungsvorwürfe bei einer durchaus abstrus anmutenden Auslegung von einvernehmlich ungeschütztem Sexualverkehr, öffentlich geforderter Hinrichtung - die Faktenlage abklärt, ist erschreckend: Man ist geneigt, Ecuador und Konsorten für "die Guten" zu halten. Ja, ist denn die Europäische Demokratie mit ihrer politischen Vertretung noch zu retten? Während sich das politische Europa selbst bei angedrohter Botschaftsstürmung von Seiten Großbritanniens in Sprachlosigkeit flüchtet - das Stürmen von Botschaften war selbst in den kältesten Konflikten der UdSSR ein absolutes Tabu - schwingen sich Ländern wie Venezuela, Kuba und Nicaragua zur Rettung der Demokratie auf. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Eine Europäische Union der Freiheit, der Gemeinsamkeit, der Demokratie - und ja, auch der gemeinsamen Währung - ist jede Anstrengung wert. Jede. Aber wenn eine Europäische Union nicht in der Lage ist, Großbritannien hier klar und deutlich in die Schranken zu weißen und eine Auslieferung Assanges - egal von welchem Europäischen Land - in die USA strikt abzulehnen: Ja, wenn wir dazu nicht in der Lage sind, dann ist es besser, wenn wir es ganz lassen.
Wahrlich dunkle Tage.
Wenn man - mit allen Abwegungen wie Geheimnisverrat, Vergewaltigungsvorwürfe bei einer durchaus abstrus anmutenden Auslegung von einvernehmlich ungeschütztem Sexualverkehr, öffentlich geforderter Hinrichtung - die Faktenlage abklärt, ist erschreckend: Man ist geneigt, Ecuador und Konsorten für "die Guten" zu halten. Ja, ist denn die Europäische Demokratie mit ihrer politischen Vertretung noch zu retten? Während sich das politische Europa selbst bei angedrohter Botschaftsstürmung von Seiten Großbritanniens in Sprachlosigkeit flüchtet - das Stürmen von Botschaften war selbst in den kältesten Konflikten der UdSSR ein absolutes Tabu - schwingen sich Ländern wie Venezuela, Kuba und Nicaragua zur Rettung der Demokratie auf. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Eine Europäische Union der Freiheit, der Gemeinsamkeit, der Demokratie - und ja, auch der gemeinsamen Währung - ist jede Anstrengung wert. Jede. Aber wenn eine Europäische Union nicht in der Lage ist, Großbritannien hier klar und deutlich in die Schranken zu weißen und eine Auslieferung Assanges - egal von welchem Europäischen Land - in die USA strikt abzulehnen: Ja, wenn wir dazu nicht in der Lage sind, dann ist es besser, wenn wir es ganz lassen.
Wahrlich dunkle Tage.
Donnerstag, 12. Juli 2012
Im Pokerspiel
Fiskalpakt. Wachstumspaket. ESM. Die ersten drei Karten für die Eurorettung sind vom Croupier ausgegeben und liegen vor uns auf dem Tisch.
Österreichs rechte Oppositionsparteien können sich mit dem Blatt noch nicht anfreunden und verlangen eine Neumischung. Ernstzunehmende Alternativen zum Pokerspiel gegen die Märkte haben sie keine anzubieten.
Einziger gültiger Einsatz ist in diesem Spiel - in dem es um nichts weniger als die Zukunft Europas geht - die Glaubwürdigkeit. Schafft es Europa die Welt davon zu überzeugen, dass wir unsere hausgemachten Probleme lösen können, steigen wir noch am „Turn“ als Gewinner aus. Gelingt es uns nicht, könnte uns ein amerikanisches Schicksal erleiden. Die USA spielen - mit einem zweistelligen Budgetdefizit und einem gigantischen Leistungsbilanzdefizit - den größten Bluff der Geschichte. Obwohl sie bereits am „River“ angekommen sind zucken sie mit keinem Finger.
Was bislang nonchalant verschwiegen wird: Wir sind längst „All-In“. Die einzige Chance ist den Pot gemeinsam nach Europa zu holen. Ein beruhigender Ausblick. Entweder sind wir alle in Europa Gewinner - oder stehen alle mit heruntergelassenen Hosen da. In beiden Fällen sind wir in guter Gesellschaft unter Freunden. Wer hätte sich das nach den Irrungen des 20. Jahrhunderts träumen lassen.
Österreichs rechte Oppositionsparteien können sich mit dem Blatt noch nicht anfreunden und verlangen eine Neumischung. Ernstzunehmende Alternativen zum Pokerspiel gegen die Märkte haben sie keine anzubieten.
Einziger gültiger Einsatz ist in diesem Spiel - in dem es um nichts weniger als die Zukunft Europas geht - die Glaubwürdigkeit. Schafft es Europa die Welt davon zu überzeugen, dass wir unsere hausgemachten Probleme lösen können, steigen wir noch am „Turn“ als Gewinner aus. Gelingt es uns nicht, könnte uns ein amerikanisches Schicksal erleiden. Die USA spielen - mit einem zweistelligen Budgetdefizit und einem gigantischen Leistungsbilanzdefizit - den größten Bluff der Geschichte. Obwohl sie bereits am „River“ angekommen sind zucken sie mit keinem Finger.
Was bislang nonchalant verschwiegen wird: Wir sind längst „All-In“. Die einzige Chance ist den Pot gemeinsam nach Europa zu holen. Ein beruhigender Ausblick. Entweder sind wir alle in Europa Gewinner - oder stehen alle mit heruntergelassenen Hosen da. In beiden Fällen sind wir in guter Gesellschaft unter Freunden. Wer hätte sich das nach den Irrungen des 20. Jahrhunderts träumen lassen.
Dienstag, 10. Juli 2012
Der Dämonenjäger - Ein Portrait des steirischen Piraten
Piraten segeln nicht nur an den Küsten Somalias
sondern haben unlängst in den Häfen mitteleuropäischer Innenpolitik angelegt.
Philip Pacanda, Piratenparteivorsitzender der steirischen Landeshauptstadt
Graz, liegt ein Freibeuterleben fern. Er hat andere Ziele.
„un diavolo caccia
l’altro – ein Teufel jagt den anderen“ Das auserkorene Leitzitat Philip Pacandas,
auf das er zu Beginn des persönlichen Gespräches in akzentfreiem Italienisch
verweist, birgt zahlreiche Facetten. Es wirkt passend für den Sprecher einer
Partei, die an Facettenreichtum in der politischen Landschaft kaum zu
überbieten scheint.
Eigene Meinungen? Ja bitte!
Eigene Meinungen? Ja bitte!
Auffallend im Gespräch ist, dass Philip Pacanda bei
politischen Fragestellungen klar Position bezieht. „Der typische Politiker gibt
keine Antwort und scheut die Diskussion. Anschließend wundert er sich über die
Politikverdrossenheit.“, tritt der Piratensprecher mit dem Ziel an, auf jede
Frage eine Antwort zu geben. Und sei es ein ‚Ich weiß es nicht‘. „Das ist dann
zumindest eine ehrliche Antwort.“ Bei all diesen politischen Festlegungen
handelt es sich aber, wie Philip Pacanda nicht müde wird zu betonen, um seine
Privatmeinungen. Die Position der Grazer Piratenpartei müsse in vielen Fällen
erst ermittelt werden. ‚Liquid Feedback‘, ‚Arbeitsgruppen‘ sowie eine in
Entwicklung befindliche Handy-App sollen hierbei helfen.
Mit Freibeuterei habe der politische Anspruch der Piraten
aber nichts gemeinsam, so ein lächelnder Philip Pacandas, der im selben Atemzug
mit nun ernster Miene auf die politische Realität verweist. Eine Realität, in
der es sich seiner Ansicht nach – blicke man auf all die unterschiedlichen
Korruptionsskandale – etablierte Parteien als Brandschatzer bequem gemacht
haben. Die Erhöhung der Parteienförderung wertet er als Bestätigung dieser
These. Lediglich mit der von ihm propagierten „absoluten Transparenz“ könne man
dieser politischen Korrumpierung entgegentreten. Es müsse bis auf den Cent
transparent sein, wofür Steuergeld ausgegeben werde. „Wenn ein Hundebesitzer
selbst nachsehen kann, welcher Prozentsatz der Hundesteuer in den Ausbau von
Parkanlagen gesteckt wird und wie viel in der Verwaltung versickert, verringert
das die Politfrustration immens.“, ist der Pirat überzeugt. Wichtig sei es
jedoch, die Informationen mit modernen Wissensmanagementplattformen für den
Bürger verständlich zur Verfügung zu stellen.
Zusammen ist
man weniger alleine
Beruflich hat der studierte Strategie- und
Innovationsmanager bei einer renommierten Consultingfirma seine Heimat
gefunden. Als Campus02-Absolvent - der Fachhochschule der ÖVP-dominierten
Wirtschaftskammer – hätte er durchaus die Chancen gehabt, sich in etablierten
Parteien zu engagieren. Abgeschreckt habe ihn bei den alten Gruppierungen ein
frustrierende Sesseldenken. Bevor man sich nicht jahrelang durch die
Parteistrukturen gedient und gesessen habe brauche man seiner Erfahrung nach
keine inhaltlichen Ideen zu äußern, da diese nicht ernst genommen werden. Bei
den Piraten sei dies anders. Jeder Interessierte könne ohne Formalismen mitmachen
und sein Fachwissen einbringen. Angst, von anderen politischen Parteien
unterwandert zu werden oder dass die kollektive Schwarmintelligenz versagen
könnte, habe er nicht. „Je mehr Leute an einer Diskussion beteiligt sind umso besser
ist das Ergebnis. Wichtig ist die systematische Organisation dieser Debatte.“
Ein Herzensanliegen sei ihm der Brückenschlag zwischen der ‚Virtual Reality‘
und ‚realen Treffen‘. Philip Pacanda ist überzeugt, dass lediglich eine
Kombination von beiden mittelfristig zum Erfolg führen könne. Die grundsätzliche
Bereitschaft sei – betrachtet man die Erfolge der ‚Location Based Services‘ – dazu
mehr als gegeben.
In diesem Zusammenhang sei auch die Datensammelwut von
sozialen Netzwerken oder Regierungen kein grundsätzliches Problem.
Problematisch könne nur die falsche Verwendung der gewonnen Informationen
werden. Angenommen die Grazer Stadtregierung wisse aus Bewegungsprofilen, dass
der Stadtpark diesen Sommer um 40 Prozent mehr genützt wird. „Entscheidungsträger
könnten darauf reagieren, zusätzliche Wasserspender aufstellen oder die
Rasenpflege intensivieren.“, so die für einen Datenschützer und Netzaktivisten
ungewöhnliche Argumentationslinie.
Auf zu neuen
Ufern
Die ständige Erreichbarkeit, die laufenden Diskussionen
und Feedbacks fordern natürlich ihren Tribut, wie Philip Pacanda eingesteht. Im
Moment sei seine Aufgabe bei den Grazer Piraten aber „der beste und spannendste
unbezahlte Job, den ich je gehabt habe“. Die kommende Grazer Gemeinderatswahl
im Jänner 2013 wird zeigen, ob Philip Pacanda der Politik mit seiner Mannschaft
die vermeintlichen Dämonen auszutreiben vermag. Oder sein Schiff an den
Wahlurnen sang- und klanglos kentert.
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