Man hat argumentativ, aber auch moralisch, einen schweren Stand wenn man
ehrliche Wohltätigkeit kritisiert. Selbst dann, wenn sich im Windschatten
dieser Wohltätigkeit ein Rattenschwanz an problematischen Ideologiefetzen
eingerichtet hat. Die Kommunistische Partei (KPÖ) in Graz dient als gutes
Beispiel, warum notwendige Kritik nicht immer angenehm ist.
Darf man Elke Kahr als bekennende Marxistin für die Morde und Brutalitäten
aller kommunistischen Regime verantwortlich machen? Nein, selbstverständlich
nicht. Michel Reimon liegt
natürlich richtig, wenn er Christian Ortner entschieden entgegen tritt. Aber Reimon
irrt, wenn er damit die Pflöcke im Weideland der paradiesischen
Gutmenschlichkeit allgemeingültig eingeschlagen sieht. Nur, weil man keinen
kausalen Zusammenhang zwischen stalinistischen Massenmorden und den
"Engeln der Armen", wie Vertreter der KPÖ Graz gerne genannt werden,
herstellen kann, reicht das nicht für eine Absolution.
Wenn Reimon argumentiert, in den Werken von Marx und seiner Vorgänger finde
sich nicht der Wunsch nach der Vernichtung von Menschen, sondern das Ziel ihrer
Befreiung, ist dies beachtlich verklärend. Romantisierend verklärend. Gab es in
der Geschichte denn keinen Schießbefehl inklusive dazugehöriger Mauer? Gab es
keine niedergeknüppelten und panzergeschwängerten Proteste an
unterschiedlichsten Plätzen? Gibt es keine „Bitten zum Tee“, keine allwissend,
gottgleichen „primus inter pares“, flankiert von elitären Komitees? Zu
behaupten, die Idee des Kommunismus sei eine andere als jene, die in
Geschichte und Gegenwart eben verwirklicht wurde, ist kein Zeichen kritischer
Distanz. Es ist ein weiterer Beleg romantischer Verklärung. Ja, es gibt
Unterschiede zwischen einem real existentem Sozialismus unterschiedlichster
Prägung und Schattierung, einem klassischen Kommunismus, einem Stalinismus,
einem Marxismus, einem Maoismus und wie sich die Richtungen alle nennen. Wer behauptet, alles das den Sprung der Realisierung geschafft hat sei eine
Fehlinterpretation des Ideals und daher zum Scheitern verurteilt, irrt
gewaltig. Damit macht man es sich zu einfach.
Es hat seinen Grund, warum Elke Kahr und ihre Gefolgschaft als „Kommunistische
Partei“ in Graz antreten und sie sich als überzeugte Marxistin bezeichnet. Es
hat seinen Grund, warum die „Kommunistische Partei“ im Programm zur
Landtagswahl „für den Abbau des Alten und
dem Aufbauen des Neuen“ anmarschiert. „Bis
zum definitiven Sieg der kommunistischen Gesellschaft, bis zum Verschwinden der
Klassen und damit auch des Staates, der Parteien und der übrigen
Klasseninstitutionen, die ihre historische Rolle zu Ende gespielt haben“.
Mir wäre keine weitere Partei bekannt, die in ihrem Wahlprogramm derart
offensiv für die Abschaffung der Demokratie wirbt.
Nein, die demokratisch zustande gekommenen 20 % für die KPÖ Graz sind nicht
problematisch. Wirklich problematisch ist, dass existenzielle Fragen – wie die
einer angemessenen Wohnungssituation – im demokratischen Alltag von den übrigen
Parteien im aktuellen Wirtschaftssystem nicht mehr für alle zufriedenstellend
gelöst werden können. Das lässt die „Systemfrage“, die vor 22 Jahren
als entschieden galt, wieder reizvoll erscheinen. Die 20 % in Graz sind für diese
„Systemfrage“ keine Vorentscheidung. Sie sollten jedoch als Warnung dienen.