Das Streben nach Glück gilt als Menschenrecht. Indessen man beim
traditionellen Lotto zum Glücksgriff nach den großen Wünschen des Lebens ansetzt,
wirken die Erwartungen beim „Kleinen Glücksspiel“ bodenständiger. Doch harmlos
wirkendes Automatenspiel um vermeintliche Centbeträge entpuppt sich im
Lokalaugenschein als gefährliche Fata Morgana.
„Des is es! Tam, tam, tam. Spuck
aus den Scheiß.“ Jakob springt schwungvoll aus dem anständig gepolsterten
Lederhocker und gibt dem Automaten vor ihm einen energischen Klapps auf die
rechte Flanke. Während seine Augen selig funkeln wiederholt er monoton die
leeren Worte: „Tam, tam, tam.“ Die Situation wird von malerischer Märchenmusik
begleitet, am Bildschirm vor ihm tanzen vier virtuelle, blonde Frauen mit
spitzen Ohren, die dem Feenparadies eines japanischen Animes entsprungen
scheinen. Abrupt wird die Melodie unterbrochen und Schüsse, die an ein AK-47
Sturmgewehr erinnern, treten an ihre Stelle. Vereinzelte Knaller, zu Beginn
langsam, mit Abständen, die sich in einer wahren Gewehrsalve entladen und
schlussendlich in der Zahl 448 münden, die unscheinbar in blutroten Lettern am
unteren Bildschirmrand prangert. Eine Frauenstimme aus dem Automat beglückwünscht
zum Gewinn, zwanzig Euro und 448 „Actiongames“. Inzwischen haben sich zwei
weitere Spieler um Jakob versammelt, bestaunen und gratulieren. Die Frage, wie
man sich über zwanzig Euro Gewinn derart freuen könne – schließlich ist der
Automat, wie ein Blick auf die Plakette beweist, noch nach dem steirischen
Landesglücksspielgesetz bewilligt und sieht einen Höchstgewinn von zwanzig Euro
vor – quittieren die Herren mit schallendem Gelächter. „Er hat gerade
viereinhalbtausend Euro gewonnen!“
Glückliche Minuten
Jakob ist Ende Vierzig,
selbstständiger Unternehmer in der IT-Branche. Mit diesem Gewinn hat er nach
eigenen Angaben seinen bisherigen Monatsverlust wettgemacht. Die Kalender-App
seines iPhones, mit dem er hastig ein Erinnerungsfoto an diesen Gewinn
anfertigt, zeigt den 9. August. Genau genommen hat Jakob, der mit bürgerlichen
Namen anders genannt wird, keine 4.500 Euro
gewonnen. Er hat zwanzig Euro gewonnen – und 448 Mal die Chance auf zehn Euro,
die er sich jeweils in einem separaten Bonusspiel abholen kann. So genannte
„Actiongames“.
Daran, mitten in der
vermeintlichen Gewinnsträhne aufzuhören, denkt Jakob nicht. „Jetzt wo der
Automat endli‘ offen ist und was gibt kann ma doch net aufhören. Das wäre ja a
Wahnsinn“, erwartet Jakob einen Gesamtgewinn von „mindestens 10.000 Euro, wenn net
mehr“. Der Kellnerin, die ihn pflichtbewusst zum Gewinn beglückwünscht,
schmettert er eine unwirsche Bestellung entgegen: „Geh, steh‘ da net so rum und
bring‘ ma an Verlängerten.“
Glücklose Stunde
45 Minuten später. Der
Guthabenstand am Automaten hat sich auf etwas über 2.400 Euro eingependelt.
„Des musst da vorstellen, der hat jetzt nur mehr gefressen.“ Jakobs Stirn
beginnt zu glänzen, einzelne Schweißtropfen werden auf Stirn und Wangen
sichtbar, während er immer energischer auf die zur Verfügung stehenden
Automatentasten hämmert. Der Café, der es sich auf einer kleinen Abstellfläche
aus Metall neben dem Automaten bequem gemacht hat, ist unberührt und erkaltet.
Der Automat klingelt mit einem neuen Musikensemble. „Endlich. 27 Actiongames.
Da muss i jetzt aber riskieren.“ Gemeint ist damit die Chance, Gewinne in einem
separaten Kartenspiel mehrmals zu verdoppeln. Am Bildschirm wird ein verdeckter
Kartenstapel von Pokerkarten simuliert, man tippt darauf, ob die nächste Karte
schwarze oder rote Farbe trägt. Liegt man richtig, verdoppeln sich die gewonnen
„Actiongames“, bei falscher Wahl verliert man sie. Hastig, scharf an der Grenze
zu panischer Hektik, schmettert er zwei Mal auf den roten Knopf. Jakob steht –
bedingt durch Rundungsdifferenzen – bei 109 Actiongames. Er zögert und fixiert
mit starrem Blick die beiden Farbfelder am Bildschirm. Nach etwa zehn Sekunden
bewegt er seine Hand zum roten Feld, zuckt vor dem Erreichen des Bildschirms
aufgeschreckt zurück und presst seine Finger auf den schwarzen Bereich. Am
Bildschirm prangt die Karte „Herz Ass“.
Jakob verharrt einige Augenblicke
regungslos, genehmigt sich nun doch einen Schluck vom Verlängerten und startet
weitere Walzendrehungen. Nicht ohne sich lautstark zu beschweren, dass man hier
nicht einmal warmen Kaffee bekäme. Nach einer weiteren Viertelstunde hat Jakob
genug. Die erwarteten Gewinne sind ausgeblieben, er hält einen vom Automaten
ausgedruckten Bon in Höhe von über 1.700 Euro in der Hand. „I hab abschreiben
müssen, der hätt alles gefressen. Aber i riskier beim anderen da drüben auf da
Blauen.“
„Actiongames“, „Abschreiben“,
„Hochdrücken“ und „Automatenfressen“. Subkulturen und Grenzgänger pflegen eine
eigene Sprache. Eingekesselt zwischen knapp zwanzig Automaten ist Jakob
angekommen. Angekommen in einer Welt, in der 1.742,38 Euro nicht als reales
Monatseinkommen, sondern als Basis für „die blaue S“ – die Maximalstufe mit
rund zehn Euro Einsatz pro Walzendrehung – gelten.
Glücklich vernetzt
Ein weltweiter Primus unter den
Anbietern von Glückspielapparaten, die klingende Namen wie „Beetle Mania“,
„Lucky Lady’s Charm“ und „Book of Ra“ schmücken, ist die Novomatic AG. Der
ehemalige Wiener ÖVP-Obmann Johannes Hahn, derzeitiger EU-Kommissar für
Regionalpolitik in der Kommission Barroso II, werkte zwischen 1997 und 2003 als
Vorstandsmitglied der Novomatic AG und schaffte es bis zum
Vorstandsvorsitzenden. Sein SPÖ-Pendant Karl Schlögl fungierte ab 2004 bis zu
seinem überraschenden Ausscheiden 2011 als Aufsichtsrat. Just wenige Wochen nachdem
sich am Parteitag der Wiener SPÖ die Mehrheit der Delegierten für ein Verbot
des „Kleinen Glücksspiels“ ausgesprochen hat, kehrt das SPÖ-Urgestein Novomatic
den Rücken.
Glückliche Zufälle
Zufälligkeiten sind das Wesen des
Glücksspiels. Als Zufall könnte man die Geschehnisse rund um den mittlerweile
zurückgetretenen steirischen ÖVP-Landtagsabgeordneten Wolfgang Kasic
klassifizieren. Pikant: Wolfgang Kasic vertrat als Spartenobmann für Freizeit-
und Sportbetriebe die Glücksspielindustrie in der Wirtschaftskammer. Just zu jenem Zeitpunkt, in dem sich im
steirischen Landtag auf Bestreben der KPÖ und Jungen ÖVP ein Unterausschluss gegen
das „Kleine Glücksspiel“ formierte – und dessen Vorsitz er sich sicherte -
tauchten in einer von Kasic herausgegebenen Regionalzeitung Inserate der
Novomatic-Tochtergesellschaft „Admiral“ auf. Insgesamt wurde laut Kasic im
Umfang von rund 60.000 Euro inseriert. Eine Unvereinbarkeit sei für ihn nicht
ersichtlich, erst als „Kleine Zeitung“ und „Falter“ die Geschichte aufgriffen,
trat Kasic vergangenen Sommer von seinen Funktionen in Politik und
Wirtschaftskammer zurück.
Keine mediale Aufmerksamkeit
wurde bei einer ähnlichen Zufälligkeit dem steirischen SPÖ-Vorsitzenden Landeshauptmann
Franz Voves zuteil. Im März 2008, wenige Monate nachdem der Unterausschuss im
steirischen Landtag seine Arbeit aufgenommen hatte, fand sich der Samariterbund
Graz im Spendenreigen wieder. Novomatic sponserte dem SPÖ-nahen Samariterbund
Graz einen nach Wünschen umgebauten VW-Transporter im Wert von 78.000 Euro. Bei
der feierlichen Übergabe am 12. März 2008 anwesend: Landeshauptmann Voves, der
„allen Beteiligten, dem Glücksspielkonzern Novomatic und deren Tochterfirma
Admiral-Sportwetten GmbH für diese großzügige Spende“ dankt. Ein Foto
dokumentiert die feierliche Übergabe im engsten Kreis.
Ein für die Industrie glücklicher
Zufall eben, dass der Unterausschuss im steirischen Landtag im Sand verlief und
man sich einigte, lieber auf eine Vorlage des Bundes zu warten.
Glücklich geködert
Nicht an Zufälligkeiten jeglicher
Art glaubt Michael Heiling. Vielmehr habe man es beim „Kleinen Glücksspiel“ mit
einer milliardenschweren Branche, die hochprofessionell organisiert sei, zu
tun. Mit kostenlosen 50 Cent-Jetons als Zugabe zu Getränken versuche man
gezielt den Markt zu erweitern, zudem sei auffällig, dass „ganz stark mit
künstlichem Licht gearbeitet wird“. Man wisse drinnen nie, ob es draußen Tag
oder Nacht sei und wäre völlig abgeschottet. Michael Heiling ist Aktivist jener
„Sektion 8“ rund um Nikolaus Kowall, die am Wiener SPÖ-Parteitag den Antrag für
die Abschaffung des „Kleinen Glücksspiels“ durchsetzte. Die Antragsrede von
Nikolaus Kowall gehört auf Youtube zu den beliebtesten österreichischen
Politvideos.
2010 wurde das „Kleine
Glücksspiel“ in einer Gesetzesnovelle auf Bundesebene umfassenden Änderungen
unterzogen. „Das Gesetz wurde zwar verbessert, aber es ist so undurchsichtig
und kompliziert, sodass mit dieser Regelung gar nichts kontrolliert werden kann“,
ist Heiling überzeugt, nachdem er sich intensiv in die Thematik eingelesen
habe. Die auffallendste Änderung im „Kleinen Glücksspiel“ ist die Erhöhung des
Maximaleinsatzes pro Spiel von 50 Cent auf bis zu zehn Euro, der Maximalgewinn
wird von zwanzig Euro auf bis zu 10.000 Euro angepasst. Weitere Adaptierungen
wie Zugangsbeschränkungen, eine Anbindung aller Glücksspielautomaten an das
Bundesrechenzentrum oder Spielzeitbeschränkungen treten sukzessive bis 2015 in
Kraft. Bestehende Automatenbewilligungen behalten bis dahin ihre Gültigkeit,
sollen aber nicht mehr verlängert werden.
Die „Sektion 8“ strebt beim
kommenden SPÖ-Bundesparteitag ein vollständiges österreichweites Verbot für das
„Kleine Glücksspiel“ an. „Das Kleine Glücksspiel ist innerhalb der Basis ein
großes Thema“, gibt sich Heiling zuversichtlich, beim Parteitag eine Mehrheit
für das Verbot hinter sich zu versammeln. Die Glücksspielindustrie lässt sich
von den Diskussionen offensichtlich wenig beirren. Ein Gutachten, nach denen
„ein Verbot des Kleinen Glücksspiels keine Verbesserung bewirken würde“, wurde
vom Marktanalysten KREUTZER FISCHER & PARTNER lanciert. In der Zwischenzeit
werden mobile Märkte erschlossen und neue Zielgruppen angesprochen. Die
beliebten Spiele wie „Lucky Lady’s Charm“ sind bereits zum Download für iPhone
und iPad verfügbar.
Größere Stücke vom
Glück
Ein beträchtliches Stück vom
Glück scheint Johann F. Graf, dem Gründer und Mehrheitseigentümer der Novomatic
AG, zugefallen zu sein. Das US-Magazin „Forbes“, in dem alljährlich im März
eine Liste der reichsten Dollar-Milliardäre der Welt veröffentlicht wird, sieht
ihn auf Rang 193. Ex aequo mit Red-Bull-Erfinder Dietrich Mateschitz bei einem
Vermögen von jeweils etwa 4 Milliarden Euro. Überall, wo Fata Morganen auftauchen,
müssen offensichtlich auch Oasen existieren.
Novomatic tritt als
zahlungskräftiger Sponsor in Erscheinung. Unter anderem für das Filmfestival am
Wiener Rathausplatz oder für die ORF-Sendung „Dancing Stars“. (Foto: Tafeit)
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