Dienstag, 4. Dezember 2012

Mietwohnungen als Systemfrage

Man hat argumentativ, aber auch moralisch, einen schweren Stand wenn man ehrliche Wohltätigkeit kritisiert. Selbst dann, wenn sich im Windschatten dieser Wohltätigkeit ein Rattenschwanz an problematischen Ideologiefetzen eingerichtet hat. Die Kommunistische Partei (KPÖ) in Graz dient als gutes Beispiel, warum notwendige Kritik nicht immer angenehm ist.

Darf man Elke Kahr als bekennende Marxistin für die Morde und Brutalitäten aller kommunistischen Regime verantwortlich machen? Nein, selbstverständlich nicht. Michel Reimon liegt natürlich richtig, wenn er Christian Ortner entschieden entgegen tritt. Aber Reimon irrt, wenn er damit die Pflöcke im Weideland der paradiesischen Gutmenschlichkeit allgemeingültig eingeschlagen sieht. Nur, weil man keinen kausalen Zusammenhang zwischen stalinistischen Massenmorden und den "Engeln der Armen", wie Vertreter der KPÖ Graz gerne genannt werden, herstellen kann, reicht das nicht für eine Absolution.

Wenn Reimon argumentiert, in den Werken von Marx und seiner Vorgänger finde sich nicht der Wunsch nach der Vernichtung von Menschen, sondern das Ziel ihrer Befreiung, ist dies beachtlich verklärend. Romantisierend verklärend. Gab es in der Geschichte denn keinen Schießbefehl inklusive dazugehöriger Mauer? Gab es keine niedergeknüppelten und panzergeschwängerten Proteste an unterschiedlichsten Plätzen? Gibt es keine „Bitten zum Tee“, keine allwissend, gottgleichen „primus inter pares“, flankiert von elitären Komitees? Zu behaupten, die Idee des Kommunismus sei eine andere als jene, die in Geschichte und Gegenwart eben verwirklicht wurde, ist kein Zeichen kritischer Distanz. Es ist ein weiterer Beleg romantischer Verklärung. Ja, es gibt Unterschiede zwischen einem real existentem Sozialismus unterschiedlichster Prägung und Schattierung, einem klassischen Kommunismus, einem Stalinismus, einem Marxismus, einem Maoismus und wie sich die Richtungen alle nennen. Wer behauptet, alles das den Sprung der Realisierung geschafft hat sei eine Fehlinterpretation des Ideals und daher zum Scheitern verurteilt, irrt gewaltig. Damit macht man es sich zu einfach.

Es hat seinen Grund, warum Elke Kahr und ihre Gefolgschaft als „Kommunistische Partei“ in Graz antreten und sie sich als überzeugte Marxistin bezeichnet. Es hat seinen Grund, warum die „Kommunistische Partei“ im Programm zur Landtagswahl „für den Abbau des Alten und dem Aufbauen des Neuen“ anmarschiert. „Bis zum definitiven Sieg der kommunistischen Gesellschaft, bis zum Verschwinden der Klassen und damit auch des Staates, der Parteien und der übrigen Klasseninstitutionen, die ihre historische Rolle zu Ende gespielt haben“. Mir wäre keine weitere Partei bekannt, die in ihrem Wahlprogramm derart offensiv für die Abschaffung der Demokratie wirbt.

Nein, die demokratisch zustande gekommenen 20 % für die KPÖ Graz sind nicht problematisch. Wirklich problematisch ist, dass existenzielle Fragen – wie die einer angemessenen Wohnungssituation – im demokratischen Alltag von den übrigen Parteien im aktuellen Wirtschaftssystem nicht mehr für alle zufriedenstellend gelöst werden können. Das lässt die „Systemfrage“, die vor 22 Jahren als entschieden galt, wieder reizvoll erscheinen. Die 20 % in Graz sind für diese „Systemfrage“ keine Vorentscheidung. Sie sollten jedoch als Warnung dienen.


1 Kommentar:

  1. Wolfgang Mizelli14. März 2013 um 06:25

    Ja es ist blamabel und traurig, dass es neben der kpoe keine linke alternative zum waehlen gibt. weil wenn ich nicht waehle, heiszt es wieder ich bin demokratiefeindlich.

    ja ich hab kpoe in graz gewaehlt.

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